2. Kapitel
Greenbelt, Maryland 15. Oktober
Unruhig lief Reverend Simon Blake unter den grellen Scheinwerfern auf und ab und spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunter rann. Er blieb kurz stehen und wischte sich über die Stirn.
»Es gibt etwas Wichtiges, über das ich mit euch reden will. Es ist etwas, das unsere Familien bedroht, unser Land – ja, sogar Christus selbst«, vertraute er den fünftausend eifrigen Gesichtern an, die zu ihm aufschauten. Er hielt das Mikrofon dichter an seine Lippen, während er wieder auf und ab zu laufen begann.
»Es ist Satans größte Waffe. Sein größter Fluch – Drogen.«
Der wöchentliche Gottesdienst näherte sich langsam dem Ende. Neben seinen Predigten hatte es zwei Stunden lang mitreißende Musik gegeben, Interviews mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und neue erbauliche Geschichten. Die Show wurde in drei Sprachen übersetzt und in sieben Länder ausgestrahlt. Ein achtes Land würde nächste Woche hinzukommen, falls seine Anwälte ihre unverschämt hohen Gehälter wert waren.
Hoch ragten die Wände seiner Kirche über ihm auf; trotzdem wirkte er darin nicht klein und verloren. Im Gegenteil, er schien eins zu sein mit dem gewaltigen Gebäudekomplex aus Beton und Glas. Eins mit der wachsenden Erregung seiner Gemeinde.
Bei seinen Worten, die dank einer supermodernen PA-Anlage durch die Kirche hallten, horchte die Menge merklich auf. Wenn es um Sex und Drogen ging, konnte man sich immer ungeteilter Aufmerksamkeit sicher sein.
Vor fünfzehn Jahren hatte er in seinen Predigten noch von Gottes Liebe und Erlösung gesprochen und geglaubt, er könne von seiner kleinen Kapelle im westlichen Maryland aus die Welt mit einer schlichten Botschaft der Hoffnung verändern. Damals war er noch so naiv gewesen.
Im Lauf der Jahre hatte sich alles verändert. Zitate aus der Bibel waren ersetzt worden durch Zitate von prominenten Politikern, und statt von allumfassender Liebe und vom Frieden predigte er heute eine ultrakonservative politische Haltung.
Das riesige Gotteshaus war vor knapp zehn Jahren vollendet worden und hatte fast zehn Millionen Dollar gekostet. Je mehr sich seine Einstellung und die Botschaft, die er verkündete, verändert hatte, desto weniger hatte ihm die kleine Kapelle und die treue Gemeinde genügt, die in seiner Jugend so wichtig für ihn gewesen war. Er hatte es leichten Herzens aufgegeben, alle Gesichter zu kennen, die zu ihm aufschauten, um stattdessen über Seelen auf der ganzen Welt zu gebieten.
»Der Herr hat mir immer und immer wieder aufgetragen, unsere Kinder zu retten – denn sie sind die Zukunft!« Seine Gemeinde bekundete lebhaft ihre Zustimmung.
»Er hat mir gesagt, dass Satan jeden von uns haben will, doch vor allem will er unsere Kinder. Das Böse schmiedet unablässig seine finsteren Ränke und denkt immer an die Zukunft.«
Er verstummte, blieb regungslos stehen und schaute fast eine Minute lang über die Menge hinweg, während seine Lippen sich im stillen Gebet bewegten. Es war einer seiner bevorzugten dramatischen Kunstgriffe, den Eindruck zu erwecken, als schicke ihm Gott höchstpersönlich gerade eine vertrauliche Botschaft – hier und jetzt. Die Menge reagierte, wie sie es stets tat. Das Stimmengewirr schwoll in dem höhlenartigen Kirchenraum immer stärker an, bis es ihn traf wie eine Flutwelle. Blake stand mit ausgestreckten Armen da und spürte, dass die Herzen und Köpfe der Gläubigen offen für ihn waren, damit er sie mit seiner Weisheit fülle. Der Weisheit Gottes.
»Wisst ihr, was seine Waffen sind?«, sagte er mit ruhiger Stimme ins Mikrofon. Die Gemeinde verstummte so rasch, dass es schien, als sei plötzlich eine durchsichtige Wand vor der Bühne niedergelassen worden. Er wiederholte seine Worte für all diejenigen, die ihn wegen des Lärms nicht gleich verstanden hatten.
»Wisst ihr, was Satans Waffen sind?« Er beantwortete seine Frage selbst. »Die Drogen.«
Erneut bekundete die Menge laut ihre Zustimmung.
Vor Jahren hatte ihn der wachsende Rauschgiftkonsum – besonders bei Jugendlichen – beunruhigt. Jetzt war er von diesem Thema geradezu besessen. Überall gab es Süchtige – sogar in seiner Kirche. Er konnte sie direkt wittern, diese Sonntagsfrömmler, wie er sie nannte, die in seine Gemeinde kamen, um unterhalten zu werden und ihr schlechtes Gewissen zu beschwichtigen. Anschließend gingen sie nach Hause und vergaßen Gott bis zum nächsten Sonntag. Daheim trieben sie Unzucht, tranken, rauchten Marihuana oder begingen noch schlimmere Sünden. Diese scheinheiligen Heuchler würden für ihre Lasterhaftigkeit bezahlen und bis in alle Ewigkeit in den Flammen der Hölle brennen, das wusste er; aber vorher würden sie noch andere mit sich ins Verderben reißen. Und der Herr hatte ihm den Auftrag erteilt, dem ein Ende zu machen.
Blake marschierte zum Ambo und nahm eine abgegriffene Bibel, die er vor vielen Jahren von seinem Vater bekommen hatte. Er hob sie hoch über seinen Kopf.
»Schon die Bibel warnt uns vor den Übeln hochprozentiger Getränke«, rief er zornig. »Aber Satan hat es nicht beim Alkohol belassen. Nein, er erfand noch heimtückischere Dinge, um die Menschheit zu versklaven. Heute haben wir Marihuana. Wir haben Kokain. Wir haben Heroin. Und glaubt nur nicht, dass es das in eurer Nachbarschaft, in den Schulen eurer Kinder nicht gibt. Es ist überall!«
Schweißtropfen und Speichel flogen durch die Luft, während er auf der Bühne hin und her rannte und weiter ins Mikrofon brüllte.
»Dass die Regierung euch vor dieser Pest schützt, braucht ihr gar nicht erst zu hoffen. Die Liberalen behaupten zwar gern, sie stünden auf der Seite des kleinen Mannes, aber ich kenne die Wahrheit.« Er deutete mit einer dramatischen Geste in die Menge. »Wir alle kennen die Wahrheit!«
Blake legte die Bibel zurück und fuchtelte heftig mit der freien Hand durch die Luft.
»Ihnen geht es nur darum, bloß keinen Drogendealer zu kränken.« Mit einer lächerlich tiefen Stimme tat er, als spräche er zu einer imaginären Frau neben ihm. »Es tut mir ja aufrichtig Leid, dass Sie gestern überfallen worden sind, Mrs. Smith, aber wir möchten die Täter lieber nicht bestrafen – das könnte schließlich gegen ihre Bürgerrechte verstoßen.«
Blake lachte leise und schüttelte den Kopf. Die Menge lachte mit ihm. Er hatte immer schon gewusst, dass eine gute Predigt einer Achterbahnfahrt glich. Nur wenn sich Eindringlichkeit und Ernst auch mal mit einem kleinen Scherz oder einem lockeren Spruch abwechselten, erreichte man die größtmögliche Wirkung. Andernfalls ermüdete man die armen Kreaturen lediglich.
»Es gibt etwas, das ich euch allen sagen muss«, fuhr er in seinem vertraulichen Ton fort und seufzte. »Lasst mir nur zuerst einen Augenblick, um mich zu fassen.«
Er setzte sich und schaute wieder in die Menge. Trotz der grellen Scheinwerfer konnte er die besorgten Gesichter in den ersten Reihen erkennen. Er gab dem Leiter des Chors ein Zeichen, der sich umdrehte und »The Old Rugged Cross« anstimmte. Als der Chor einfiel, gestattete sich Blake ein trauriges Lächeln. Es war ein Lied, das ihn stets besonders berührte.
Wenn er auf seinem Platz saß, dem Chor lauschte und den Blick durch seine Kirche schweifen ließ, verspürte er stets ein wenig Bedauern. Es war unbestreitbar, dass sie funktional gebaut war. Sie bot Platz für Tausende, war akustisch perfekt, es gab genügend Parkplätze, und die gesamte Technik zur Bild- und Tonübertragung war raffiniert versteckt. Was ihn störte, war die Atmosphäre. Er hatte sich eine eher gotische Kirche vorgestellt, mit Buntglasfenstern und kunstvoll verziertem Mauerwerk. Bekommen hatte er dagegen ein sprödes Zeugnis des menschlichen Intellekts und kein Monument des menschlichen Geistes, wie er es erhofft hatte. Die schroffen Winkel und die kahlen Wände kündeten von nüchterner Mathematik und berührten weder Herz noch Seele.
Die Architekten, mit denen er sich immer noch vor Gericht herumstritt, wehrten sich mit der Behauptung, dass sie ihm die Zeichnungen in jedem Stadium des Entwurfs vorgelegt und er sie alle genehmigt hätte. Aber was verstand er schon von Aufrissen und Konstruktionsplänen? Er war ein Mann Gottes.
Mit der Vollendung seiner Kirche hatte Blakes Vorherrschaft auf dem heiß umkämpften Markt der Fernsehprediger begonnen. Sein Unternehmen war rasch expandiert, womit er von Anfang an gerechnet hatte, und sein Bekanntheitsgrad war stetig größer geworden durch eine endlose Reihe von Büchern, die Ghostwriter für ihn geschrieben hatten, durch eine kleine Hochschule in Tennessee und dank einer kontinuierlich wachsenden Gruppe mächtiger politischer Verbündeter. Wenn der Herr nicht für die Seinen sorgte, gab es genug Kongressabgeordnete, die es stattdessen taten, das hatte Blake schon frühzeitig in seiner Karriere entdeckt. Um sein gutes Verhältnis zu den Männern an der Macht zu festigen, spendete er regelmäßig namhafte Summen für diverse Wahlkämpfe und unterstützte seine Verbündeten nachhaltig mit sämtlichen Medien seines immer weiter expandierenden Konzerns.
Natürlich waren diese Verbündeten genauso gottlos wie Schwerverbrecher in der Todeszelle. Lasterhafte Männer, denen es lediglich darum ging, die eigene Macht, den eigenen Einfluss zu mehren. Huren. Doch der Herr hatte ihn gelehrt, dass es gerade diese Schwächen waren, durch die sie so lächerlich leicht zu manipulieren waren. Er ignorierte einfach, dass in ihren finsteren Herzen nur Gier und Lüsternheit hausten. Ihre Interessen waren belanglos – sie waren lediglich Werkzeuge. Und durch ihn waren sie, ohne es zu wissen, zu Gottes Werkzeugen geworden.
Als die letzte Strophe von »The Old Rugged Cross« durch die Kirche hallte, ging Blake mit gesenktem Kopf zurück zu dem Ambo. Er holte tief Atem, was in der ganzen Kirche deutlich zu vernehmen war.
»Es bekümmert mich so sehr, dass ich nicht weiß, wie ich es in Worte kleiden soll«, begann er. »Ein Kind unserer Gemeinde ist letzte Woche ermordet worden.«
»Nein!«, schrien einige. »Herr, rette uns!« Blake hob eine Hand und forderte Ruhe.
»Bobby McEntyre war sechzehn. Er war in der Footballmannschaft seiner Highschool. Er war ein guter Student und aktiv in seiner Kirche tätig.« Blakes Augen wurden feucht, und eine Träne lief über seine Wange. Er strich sich mit dem Ärmel seines dunklen Anzugs übers Gesicht und wischte sie weg. Die Gemeinde bekundete murmelnd ihre Anteilnahme.
»Bobby wollte mit ein paar Freunden zu einem Supermarkt in East Baltimore fahren.« Blake zuckte heftig die Schultern. »Es war ein ganz gewöhnlicher Mittwochabend – nicht spät – ungefähr acht Uhr. Bobbys Freunde begriffen erst gar nicht, was geschehen war, als ihre Windschutzscheibe zersprang.« Er machte eine Pause. »Die Polizei sagt, ein paar Drogendealer seien in Streit geraten, und diese guten christlichen Jungen waren einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.« Blake wandte sich um und schaute auf zu der großen Skulptur des gekreuzigten Jesus vor den Orgelpfeifen im Bühnenhintergrund. »Zur falschen Zeit am falschen Ort«, wiederholte er, an den Erlöser gewandt, mit brechender Stimme.
Das war das Stichwort für die Techniker in der Kabine, ein Video einzuspielen, das einen lachenden Bobby McEntyre zeigte, der mit seinem jüngeren Bruder ausgelassen Football spielte. Als diese Bilder auf den Monitoren in der Kirche und gleichzeitig auf den Fernsehschirmen von Millionen Zuschauern erschienen, begann eine Frau im Publikum laut zu weinen. Er ging zum Rand der Bühne und blinzelte ins Scheinwerferlicht.
»Mr. und Mrs. McEntyre, kommen Sie bitte zu mir.« Er streckte seine Hand aus, um einer pummeligen Frau Anfang vierzig auf die Bühne zu helfen. Ihr Ehemann folgte ihr. Beide hatten Tränen in den Augen. Blake nahm sie fest in seine Arme und drehte sie herum, sodass sie ins Publikum und in die Kameras schauten.
»Ich wollte, dass die McEntyres zu mir heraufkommen, damit wir alle unser Mitgefühl bekunden und ihnen sagen können, dass wir sie in unsere Gebete einschließen.« Die Gemeinde murmelte zustimmend. »Außerdem wollte ich ihnen sagen, dass ich in Bobbys Namen ein Stipendium für die Lord’s Baptist University gestiftet habe.«
Die McEntyres umarmten Blake, drückten unter Tränen ihre Dankbarkeit aus und stammelten, wie glücklich ihr Sohn darüber gewesen wäre. Einige in der Menge applaudierten. Blake schaute den McEntyres hinterher, als man sie zu ihren Sitzplätzen in der ersten Reihe zurückführte.
»Ich weiß, dass Bobby nun im Paradies ist, doch in seinem Herzen muss große Traurigkeit herrschen, dass er so eine wundervolle Familie verlassen musste.«
Ein Mann am Bühnenrand gab ihm ein Zeichen, dass nur noch fünf Minuten Sendezeit übrig waren. Blake sah es aus den Augenwinkeln, nickte kaum merklich und ging zurück zum Ambo. Man musste darauf achten, dass die Realitäten des Fernsehens nicht die Spannung zerstörten und die Gläubigen aus dem Gefühl rissen, die Gegenwart Gottes zu spüren.
»Ich will, dass jeder in dieser Kirche und jeder, der uns daheim zuschaut, sich an dem erbitterten Kampf des Herrn gegen die Drogen beteiligt. Schreibt an euren Kongressabgeordneten! Schreibt eurem Senator! Schreibt dem Präsidenten! Sagt ihnen, dass wir die Nase voll haben!« Blake schlug mit der Faust aufs Pult, was über die PA-Anlage wie eine Explosion klang.
»Wartet nicht bis morgen – schreibt noch heute«, drängte er. »Wir können Amerika von den Dealern zurückerobern, aber wir müssen endlich damit anfangen! Ich will nicht noch mehr Eltern in meiner Gemeinde so leiden sehen wie die McEntyres.«
Er ging zurück zur Bühnenmitte, wo er beide Arme hoch in die Luft hob.
»Gott segne euch alle«, rief er. Dank der Mikrofone und der fast perfekten Akustik des Gebäudes drang seine Stimme in alle Winkel. Es war seine übliche Schlussformel, die das Ende des Gottesdienstes einleitete.
Der Chor stimmte sein letztes Lied an, während Blake durch eine unauffällige Tür im Bühnenhintergrund verschwand.
Dort wartete bereits sein Chauffeur auf ihn. »Direkt zurück ins Büro, Reverend?«
»Ja. Schaffen wir es bis halb zwei dorthin?«
Carl schaute auf seine Uhr und runzelte die Stirn. »Hängt vom Verkehr ab, aber ich tue mein Bestes.«
Fast lautlos glitt die große schwarze Limousine durch den leichten Nachmittagsverkehr, was dem Mann hinter dem Steuer zu verdanken war. Blake saß auf dem Rücksitz, nippte an einer Cola und blätterte durch die Washington Post. Die New York Times und die LA Times lagen unberührt neben ihm auf dem weichen Ledersitz.
Auf der Titelseite der Post prangte das Bild eines jungen Farbigen. Es war unverkennbar ein altes Schulfoto. Man sah dem Jungen förmlich an, wie unbehaglich er sich mit ordentlich gekämmtem Haar und blütenweißem Kragen fühlte. Blake überflog den Artikel und zog eine Grimasse, als er die ersten Absätze las.
Der Bericht handelte von einem Jungen, der im Zentrum Washingtons lebte und sich wiederholt geweigert hatte, Drogen zu probieren, trotz des wachsenden Drucks seiner Freunde. Seine Haltung hatte die Drogendealer der Gegend derart provoziert, dass sie auf die Idee verfallen waren, ihn mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Blake blätterte um und fand auf der nächsten Seite ein weiteres Bild. Es zeigte den Jungen im Krankenhaus, von oben bis unten bandagiert. Das einzige sichtbare Stückchen Haut war ein kleiner Fleck auf der rechten Schulter. Seine Augen waren verdeckt mit dicken runden Kompressen, die aussahen wie Schwämme, mit denen man Autos polierte. Durchsichtige Plastikschläuche liefen von seiner Nase aus zu einer komplizierten Apparatur neben dem Bett.
Angewidert riss Blake den Artikel heraus und stopfte ihn in seine Aktentasche. Zu schade, dass der Junge kein Weißer war – eine solche Geschichte würde garantiert eine Rekordkollekte einbringen.
Blake rutschte etwas zur Seite, damit er das Gesicht seines Fahrers sehen konnte. »Haben Sie von dem Jungen in Washington gelesen, den man angezündet hat?«
»Hab ich, Reverend. Bricht einem das Herz, was?«
»Warum passiert so was? Kann man denn gar nichts tun, um diese Kinder von Drogen fern zu halten?«
Carl war einer der wenigen Farbigen, die Blake gut kannte. Er ging davon aus, dass die Farbigen eine homogene Gemeinschaft bildeten und sein Chauffeur ihr Sprecher war.
»Ich weiß nicht, Reverend. Die meisten Kids, die ich kenne, haben zu Hause kaum so was wie ein Familienleben. Und selbst wenn sie es hätten, würde es nichts nutzen. Der Druck, cool zu sein, Drogen zu nehmen und dieser ganze Kram – der ist ziemlich stark, wissen Sie? Und irgendwann kommt die Zeit, wo die Kids nicht mehr länger auf ihre Eltern hören wollen. Es ist einfach das alte Problem – die Kids wollen erwachsen sein, sich wichtig fühlen.«
Blake schmunzelte. Carl hatte wirklich ein gottgegebenes Talent zur Vereinfachung. »Ich erinnere mich noch an meine Kindheit und wie wichtig es war, dazuzugehören«, räumte er ein. »Aber ich erinnere mich nicht, dass man die unbeliebten Kinder kurzerhand angezündet hätte.« Er rutschte wieder zur Mitte des Sitzes und schaltete einen kleinen Fernseher ein, um zu signalisieren, dass das Gespräch vorüber war.
Der Verkehr wurde dichter, als der Highway in die zweispurige Straße überging, die durch Baltimore führte. Carl fuhr weiter nördlich am neuen Baseballstadion von Camden Yards vorbei und nahm eine Nebenstraße zum Parkhaus unter dem Gebäude, das die Verwaltungszentrale der Kirche beherbergte. Blake sprang so eilig aus dem Wagen, dass er fast seine Aktentasche vergessen hätte. Rasch ging er durch das dunkle Parkdeck zum Fahrstuhl. Seine Uhr zeigte 13.35, und er wusste, dass John Hobart seit exakt fünf Minuten wartete. Unpünktlichkeit gehörte nicht zu Hobarts Schwächen.
Für seine Verwaltungszentrale hatte Blake den gesamten vierzehnten Stock eines rund neuntausend Quadratmeter großen Bürogebäudes gemietet, das im Inner Harbor von Baltimore bereits als Wolkenkratzer galt. Jeder, der zufällig in dieser elegant eingerichteten Etage landete, würde wahrscheinlich zunächst glauben, er sei in einer großen Anwaltskanzlei. Der beigefarbene Teppichboden war ebenso luxuriös wie die massive Holztäfelung und die antiken Mahagonitische, auf denen Kristallvasen mit Trockenblumen standen, und an den Wänden hingen Gemälde, denen man ansah, dass es sich um Originale handelte. Die Angestellten trugen dunkle Anzüge und die Sekretärinnen Röcke in gedeckten Farben und frisch gestärkte weiße Blusen. Nur die leise geistliche Musik, die aus unsichtbaren Lautsprechern kam, deutete auf die wahre Natur der Firma hin.
Blake schritt eilig am Empfang vorbei, ohne den Gruß der jungen Frau zu erwidern, die dort hinter dem Schreibtisch saß. Als er in sein Vorzimmer kam, machte ihm die Sekretärin ein Zeichen, dass bereits jemand auf ihn wartete. Blake warf seinen Mantel aufs Sofa und ging durch die offene Tür ins Büro.
»Tag, John. Entschuldigung, dass ich zu spät bin.«
»Kein Problem, Reverend, ich bin auch gerade erst gekommen«, erwiderte John Hobart und schaute von dem Notizblock auf, der auf seinem Schoß lag.
Blake setzte sich ihm gegenüber und zog einen Stift aus der Tasche. Er spürte, dass Hobart ihn beobachtete, doch er vermied es, seinen Blick zu erwidern. Hobarts Augen wirkten stets irgendwie starr und leblos, als sähe er alles, was man lieber verbergen würde, und nur Menschen, die sich in ihrer Macht unangreifbar fühlten, hielten diesem Blick stand; jeder andere reagierte unwillkürlich mit einem nervösen Lachen.
Nachdem Blake eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens geworden war, hatte er gemerkt, dass er Personenschutz brauchte und einen professionellen Sicherheitsdienst für seine Kirche. Aus diesem Grund hatte er vor fünf Jahren John Hobart angeheuert, der beste Referenzen vorzuweisen hatte. In Vietnam hatte er bei einer Einheit der Special Forces gedient und war mit hohen Orden ausgezeichnet worden. Nach seiner Rückkehr hatte er seinen Abschluss als Wirtschaftsprüfer gemacht und war erfolgreich in einem großen Unternehmen tätig gewesen, doch die langweilige und belanglose Arbeit als Buchhalter hätte ihn mit der Zeit zermürbt, wie er Blake erklärt hatte, deshalb war er Ende der siebziger Jahre in die Drug Enforcement Administration, die amerikanische Bundesdrogenbehörde, eingetreten.
Blake hatte ihn bei ihrer ersten Unterredung nicht besonders sympathisch gefunden – sein Sohn würde vermutlich sagen, dass John ein Fiesling sei – und zunächst weiter nach einem Sicherheitsberater gesucht. Wochenlang hatte er Bewerbungsgespräche mit Leibwächtern geführt, die mit Steroiden vollgepumpt waren, mit heruntergekommenen Privatdetektiven und drittklassigen Ex-Polizisten. Anschließend hatte er sich noch einmal Hobarts Lebenslauf vorgenommen, obwohl man ihm bereits eine höfliche Absage geschickt hatte, und ihn zu einem zweiten Gespräch bestellt. Blake hatte zwar seine Meinung über ihn nicht geändert – bis heute nicht –, aber letzten Endes hatte es ausgesehen, als sei Hobart die beste Wahl.
Er hatte noch keinen Grund gehabt, seine Entscheidung zu bereuen. Hobart hatte einen Sicherheitsdienst auf die Beine gestellt, vor dem sogar der Mossad Respekt hätte. Dass er kein besonders umgänglicher Mensch war und nicht sehr religiös zu sein schien, war für Blake zweitrangig im Vergleich zu seiner persönlichen Sicherheit und der seiner Familie.
Außerdem hatte er mit der Zeit auch Hobarts Kenntnisse als Wirtschaftsprüfer bei gewissen finanziellen Transaktionen schätzen gelernt. Der Reverend hielt sich zwar für einen grundehrlichen Menschen, hatte sich aber an die angenehmen Dinge des Lebens gewöhnt und war zunehmend süchtiger geworden nach politischer Macht, was nun einmal seinen Preis hatte. Seine Spenden an verschiedene Regierungsmitglieder erfolgten nicht immer über hundertprozentig legale Wege, was für etliche Leute äußerst peinlich werden könnte, doch Hobart hatte zu diesem Zweck etliche Scheinfirmen gegründet und Auslandskonten eingerichtet, die selbst bei gründlichster Überprüfung absolut einwandfrei aussahen.
Blakes Sekretärin schaute zur Tür herein. »Tut mir Leid, dass ich störe, Reverend, aber Senator Haskins ist auf Leitung eins.«
Blake stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. »Danke, Terry.«
Hobart beugte sich wieder über seinen Block und drehte mit einem unterdrückten Grinsen seinen Stuhl so, dass er seinem Chef den Rücken zuwandte.
Der Senator und der Fernsehpfarrer, die beide ständig über die guten alten Werte predigten.
Blake hatte in den letzten fünf Jahren beträchtliche Summen in Kampagnen gesteckt, mit denen eine ›Rückkehr zu den alten Werten‹ gefördert werden sollte. Eine schändliche Geldverschwendung, wie Hobart fand. Der Reverend stammte aus einer netten, weißen Familie der Mittelschicht im westlichen Maryland; Dad war Prediger, Mom blieb zu Hause, buk Pasteten und kümmerte sich um ihre statistischen 2,5 Kinder. Blake schien zu denken, dass Menschen, die von dieser göttlichen Norm abwichen, das aus freien Stücken taten. Er glaubte, man könne jeden davon überzeugen, dass ein gesundes, erfülltes Familienleben wichtiger sei als alles andere, und jeder, den man überzeugt hatte, wäre sofort bekehrt.
Hobart wusste es besser. Er war in einer armen Arbeiterfamilie in New York aufgewachsen, und ein größerer Kontrast zu Blakes idyllischer Kindheit war kaum denkbar.
Für seinen Vater war der kleine John eine einzige Enttäuschung gewesen, und nach ein paar Drinks hatte schon der bloße Anblick seines Sohnes ihn in heftige Wut versetzt. Wie die meisten Männer hatte er gehofft, sein Stammhalter würde eine jüngere Version seiner selbst werden. Er hatte sich einen sportlichen, kräftigen Jungen gewünscht, aus dem einmal ein trinkfester, raubeiniger Mann werden würde. Doch sein Sohn war sehr viel kleiner als seine Mitschüler, blass und dünn wie eine Bohnenstange, wofür er John die Schuld zu geben schien, als habe der Junge das Wachsen nur eingestellt, um ihn zu ärgern. Für Sport interessierte John sich überhaupt nicht. Über alles liebte er Schach, ein Spiel, das sein Vater mit seiner beschränkte Intelligenz nicht einmal begriff.
Ein paar Tage nach Hobarts fünfzehntem Geburtstag war seine Mutter wie jeden Dienstag mit Einkäufen beladen heimgekommen. Als sie um die Ecke bog, sah sie zwei Streifenwagen mit blitzendem Blaulicht vor ihrem Haus parken. Sie hatte sofort ihre Taschen fallen lassen und war losgerannt. Ihr Mann verprügelte sie und John nach seinen Sauftouren regelmäßig und war mit der Zeit immer gewalttätiger geworden. Sie war überzeugt, dass ihr Sohn tot war.
In Panik stürzte sie zur Tür herein. John saß auf einem Küchenstuhl, baumelte mit den Beinen und lutschte an einem Eis. Ein Polizist kauerte neben ihm und redete ihm leise zu. Er berichtete ihr, es habe einen Unfall gegeben. Ihr Ehemann sei die Treppe hinuntergefallen und habe sich das Genick gebrochen.
Sie war wie erstarrt gewesen, doch mehr als der Tod ihres Mannes hatte sie der vollkommen emotionslose Ausdruck auf dem Gesicht ihres Sohns entsetzt. Der Polizist war ihrem Blick gefolgt und hatte erklärt, er habe wahrscheinlich einen Schock. Sie hatte sich zu ihm gekniet und in seine Augen geschaut. Und dort hatte sie gesehen, was in Wahrheit an diesem Tag geschehen war.
Dieser Vorfall hatte John Hobarts gesamte Lebenseinstellung geprägt. Die meisten Probleme der Menschheit wurzelten in jahrhundertealten, oft widersprüchlichen moralischen Vorschriften. Für einen Mann, der genug Intelligenz und Entschlossenheit besaß, sich über diese unsinnigen Kategorien von Richtig und Falsch hinwegzusetzen, gab es kein Problem, das nicht rasch und für immer gelöst werden konnte. Obwohl es so simpel war, hatte Hobart noch nie jemanden getroffen, der diese Erkenntnis ebenfalls erfasst und die innere Stärke gehabt hätte, danach zu leben. In Vietnam hatte es ein paar Männer gegeben, die angefangen hatten, es zu verstehen, aber alle waren süchtig nach dem Töten geworden – süchtig nach dem Gefühl absoluter Macht, durch das sie vorübergehend ihre Schuldgefühle und ihr Entsetzen vergessen konnten. Für Hobart war das Töten lediglich ein Mittel zum Zweck, und er gebrauchte dieses Mittel gedankenlos, zielstrebig und ohne Skrupel.
»Tut mir Leid«, entschuldigte sich Blake und legte den Hörer auf. »Was steht heute auf der Tagesordnung?«
Hobart stand auf und schloss leise die Bürotür. »Nichts Besonderes, Reverend. Ich wollte nachfragen, ob Senator Haskins das Geld, das er verlangt hat, inzwischen bekommen hat – aber das scheint ja der Fall zu sein.« Er deutete zum Telefon. »Außerdem wollte ich Ihnen mitteilen, dass ich wegen des neuen Lifts verhandelt habe, als wir unseren Mietvertrag verlängert haben. Anfang nächster Woche haben Sie einen Schlüssel zum Fahrstuhl ganz rechts. Außer in Notfällen wird keiner der anderen mehr in dieses Stockwerk fahren. Es hat mich doch etwas beunruhigt, dass man so leicht Zutritt zu Ihrem Büro hat. Irgendein verrückter Drogensüchtiger könnte ohne weiteres hier herauf spazieren und unsere Sekretärin überfallen.«
Blake nickte. Er war nicht besonders begeistert davon, in seinem eigenen Büro regelrecht eingesperrt zu sein, aber von solchen Sachen verstand sein Sicherheitsberater mehr als er. Sie mochten notwendig sein, doch ihn beschäftigten wichtigere Dinge.
»Haben Sie heute den Artikel in der Post gelesen über diesen Jungen, den man angezündet hat, weil er keine Drogen nehmen wollte? Ich hab ihn mir auf der Fahrt hierher angeschaut.«
John stieß ein kurzes Lachen aus. »Es ist eine verrückte Welt, Reverend«, meinte er gleichgültig und blätterte zur nächsten Seite seines Blocks. Blake sah anhand der Überschrift, dass Hobart wohl über irgendwelche Offshore-Konten mit ihm reden wollte, doch ihm gingen im Moment ganz andere Zahlen durch den Sinn.
»Wie viel gibt die USA für den Kampf gegen Drogen aus?«
Hobart blickte automatisch auf seine Uhr, und Blake ärgerte sich wie jedes Mal über diese Angewohnheit, bei einem Gespräch ständig auf die Uhr zu schauen.
»Nun?«, fragte er hörbar gereizt.
Hobart legte frustriert den Block auf den Tisch. »Jährlich? An die fünfzehn Milliarden Dollar, schätze ich.«
»Und wie viel haben wir als Kirche im letzten Jahr Politikern gespendet, die für Recht und Ordnung sorgen wollen?«
Hobart überlegte einen Moment. »Schwer zu sagen, Reverend. Wir listen das nirgends gesondert auf.«
»Schätzen Sie.«
»In etwa zwei Millionen. Geben Sie mir ein paar Tage, dann nenne ich Ihnen genaue Zahlen.«
Blake winkte ab. »Nein, danke.«
Hobart griff wieder nach seinem Block. Offensichtlich war ihm sehr daran gelegen, ihre Besprechung zu beenden und nach Hause zu kommen. Blake wusste, dass er es hasste, sonntags zu arbeiten.
»Also verschwende ich mein Geld?«
Hobart legte den Block mit einem Seufzer beiseite, gab aber keine Antwort.
Blake wiederholte seine Frage.
»Ich weiß nicht, Reverend. Ist es Geldverschwendung, wenn man sich bemüht, etwas Gutes zu tun?«
Blake lachte laut über den Versuch seines Sicherheitschefs, ihm mit christlicher Ethik zu kommen. »Ich wäre Ihnen dankbar für eine direkte Antwort, John.«
Hobart gab sich geschlagen. »Okay, Reverend. Wenn Sie mich fragen, ob es den Drogenmissbrauch in Amerika stoppen wird, wenn Sie diesen Kongressleuten jedes Jahr ein paar Millionen zustecken, dann ist die Antwort: Nein. Der Drogenkonsum bei Teenagern hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt – Sie haben ja die Statistiken gesehen. Der Konsum von Kokain ist um fast zweihundert Prozent gestiegen, bei Marihuana sind es einhundertfünfzig Prozent, und der Heroinkonsum hat sich verdoppelt.«
Blake hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt und ihm schweigend zugehört. Eine ungewöhnliche Haltung für den Prediger.
»Was würden Sie denn dann vorschlagen? Wir haben immerhin beträchtliche Ressourcen und auch den nötigen Willen. Damit müsste man doch etwas erreichen können!«
»Schauen Sie, Reverend, Drogen sind ein ernstes Problem – und ernste Probleme erfordern entsprechende Antworten. Genau an diesem Punkt hakt es aber. Für einen Politiker ist der beste Weg, wiedergewählt zu werden, wenn er den Anschein erweckt, als täte er große Dinge für das Land, während er in Wirklichkeit gar nichts tut. Auf diese Weise sind alle glücklich, und niemand ist so verrückt, seinen Wahlkampf mit negativ besetzten Themen zu führen.«
»Sie haben eine ziemlich zynische Meinung über die Regierung des mächtigsten Landes der Welt.«
Hobart lachte abfällig. »Das mächtigste Land der Welt? Wir können ja nicht einmal verhindern, dass eine Bande ungebildeter Araber uns auf eigenem Grund und Boden angreift. Die europäischen Kinder schneiden bei Prüfungen besser ab als unsere, und ich würde mich in einer dunklen Straße in Trinidad bedeutend sicherer fühlen als in West Baltimore. In den nächsten zwanzig Jahren werden die Chinesen unsere Wirtschaft wie eine Dampfwalze überrollen. Mag sein, dass wir einmal das mächtigste Land der Welt waren, aber jetzt sind wir auf dem besten Weg, diesen Status zu verlieren.«
Blakes Gesicht hatte sich gerötet. Die Vereinigten Staaten von Amerika zu beleidigen war in seinen Augen nicht viel besser als den Herrn selbst zu beleidigen. Doch es ließ sich nicht abstreiten, dass Hobart teilweise Recht hatte.
»Und was sollen wir tun, um diesem Niedergang Einhalt zu gebieten?«
»Wenn ich das wüsste! Aber ich glaube, Sie haben Recht, mit dem Drogenproblem anzufangen. Es gibt in den Vereinigten Staaten … na ja, sagen wir mal, dreizehn Millionen Konsumenten. Ungefähr ein Drittel davon nimmt das Zeug regelmäßig. Ein ziemlich großer Teil der Kriminalität und der Gewalt, die unser Land auffrisst, lässt sich direkt oder indirekt auf diese Süchtigen zurückführen.«
»Und was heißt das?«, fragte Blake erbittert. »Soll die Regierung einfach jeden hinrichten, der beim Dealen erwischt wird?«
»Dann würde das Land bankrott gehen, wenn man derart viele Leute in der Todeszelle durchfüttern müsste. Ganz zu schweigen von den Kosten der Revisionsverfahren. Außerdem müsste man erst mal die Art und Weise ändern, wie die Justiz arbeitet, damit diese Methode effektiv wäre. Das ist nicht sehr wahrscheinlich.«
»Ich habe es satt, dass alle mir dauernd erklären, es gäbe keine Lösung. Der Herr hat mir gesagt, dass es einen Weg gibt. Und er hat mich damit beauftragt, ihn zu finden.«
»Ideen gibt es genug, Reverend. Zum Beispiel die Legalisierung und Regulierung.« Blake runzelte die Stirn und wollte mit einem seiner Standardargumente auf diesen Vorschlag antworten. Hobart ließ ihn jedoch gar nicht erst zu Wort kommen. »Ich weiß, dass Sie strikt gegen diese Methoden sind, Reverend, aber es hätte auch seine Vorteile. Die Steuereinnahmen würden steigen und die Drogenkriminalität abnehmen. Der Effekt wäre wahrscheinlich so ähnlich wie bei der Aufhebung der Prohibition damals in den zwanziger Jahren. Natürlich ginge dadurch der Drogenkonsum nicht zurück. Er würde vielleicht sogar noch ein wenig ansteigen.«
Blake verschränkte die Arme über der Brust, um seine Ablehnung anzudeuten.
»Ein anderer Vorschlag lautet, dass die Vereinigten Staaten weltweit das gesamte Angebot an Drogen aufkaufen und vernichten. Allerdings gäbe es dann immer noch Designerdrogen wie Speed, Ecstasy oder LSD. Außerdem würde in diesem Fall vermutlich jedes Land der Welt, das eine Handbreit Erde besitzt, Mohn anbauen – und man hätte nach wie vor den Schwarzmarkthandel. Ansonsten bleibt nur, dass wir einfach weitermachen wie bisher.«
»Was nicht das Geringste bringt.«
Hobart zuckte die Schultern. »Eine komplette Verschwendung von Zeit und Geld.«
»Eben! Soll ich mir also mein Geld sparen und meine Kinder in einem Land aufwachsen lassen, wo sie jederzeit mitten auf der Straße niedergeschossen werden können?« Blake war ganz in seiner Rolle als Prediger und schlug mit der Faust auf den Konferenztisch.
»Es gäbe noch einen Weg. Damals bei der DEA haben wir das spätnachts manchmal in Gedanken durchgespielt. Es würde dem Drogenkonsum und dem Drogenhandel fast augenblicklich ein Ende machen.«
Blake beugte sich in seinem Sessel vor. »Und wie?«
»Im Grunde genommen bräuchte man nur die Aufgaben der DEA zu ändern. Statt Drogen zu beschlagnahmen und Dealer einzusperren, würde sie Drogen beschlagnahmen, sie vergiften und dann wieder in Umlauf bringen.«
Blake wandte seinen Blick zum Fenster und begann an seinem Radiergummi zu kauen. Nach fast einer Minute stand er auf und schaute hinaus auf den Hafen. In der Herbstsonne, die sich auf dem Wasser spiegelte, leuchteten die weißen Segel einiger kleiner Boote.
Weiter draußen konnte er einen strahlend weißen Kutter der Küstenwache sehen, der in Richtung See fuhr. Nächste Woche würde er vermutlich ein kolumbianisches Boot jagen, das Sünde und Tod geladen hatte.
»Denken Sie darüber nach, Reverend; es ist ein Konzept, bei dem alle nur gewinnen können. Eingefleischte Drogenkonsumenten, die sowieso nur Blutsauger der Gesellschaft sind, würden entweder mit ihrem Laster aufhören müssen oder sterben. Das würde auch für die Dealer gelten, die ja meistens selbst süchtig sind. Jeder mit ein wenig Verstand würde kapieren, dass das Risiko zu groß ist, und aufhören, das Zeug zu nehmen. Erinnern Sie sich, als die amerikanische Gesundheitsbehörde vor einigen Jahren ein paar Trauben fand mit ein bisschen Zyankali drin? Man konnte die Leute nicht mal mit Geld dazu bringen, noch Trauben zu essen. Und dabei war es nicht einmal genug, dass einem übel wurde.«
Blake grunzte nur. Er hatte selbst seither keine Trauben mehr angerührt.
»Ein weiterer Pluspunkt bei einer solchen Vorgehensweise sind die Kosten. Nach dem Start würde sie sich selbst finanzieren. Die DEA konfisziert die Drogen – kriegt sie also praktisch umsonst –, versetzt sie mit Gift für fünf Dollar und macht beim Verkauf einen gewaltigen Profit. Außerdem bräuchte man nach einer Weile gar nicht mehr viel zu vergiften. Die Angst würde einem die Arbeit abnehmen.«
Carl drückte einen Knopf auf der Fernbedienung an seinem Schlüsselbund und verringerte das Tempo der Limousine. Das imposante Tor zu Blakes Anwesen öffnete sich. Flüchtig erspähte Blake hinter einer Hecke einen Mann in einem dunklen Anzug und erkannte in ihm einen der Wächter, die für das Haus abgestellt worden waren. Anfangs hatte er sich dagegen gewehrt, aber schließlich doch nachgegeben, als Hobart versprochen hatte, dafür zu sorgen, dass man die Männer gar nicht bemerken würde. Wie immer hatte er Wort gehalten. Blake war sogar gezwungen gewesen, einige von ihnen seiner kleinen Tochter vorzustellen, die allmählich überzeugt gewesen war, es seien gut gekleidete Gespenster. Während er normalerweise kein Gerede über Okkultes bei seinen Kindern duldete, konnte er ihr in dieser Hinsicht wirklich keine Vorwürfe machen. Manchmal dachte er ebenfalls, es seien gut gekleidete Gespenster.
Die Zufahrt führte fast eine Dreiviertelmeile weit einen sanften Hügel hinauf zum Haus, das durch das ansteigende Gelände und entsprechend angepflanzte Bäume für jeden, der auf der Straße vorbeifuhr, vollständig unsichtbar war. Carl hielt unter dem Säulenportikus des großen weißen Gebäudes im Tudorstil, stieg rasch aus und öffnete seinem Chef die Tür.
»Brauchen Sie den Wagen heute Abend noch mal, Reverend?«
»Ich glaube nicht. Seien Sie um halb acht hier.«
Carl tippte an seine Mütze, stieg wieder ein und fuhr langsam davon.
»Hallo!«, rief Blake und streifte auf einem kostbaren orientalischen Teppich in der großen Eingangshalle seine Schuhe ab. Verärgert musterte er dabei den antiken Wandschirm, der teilweise von einer Kübelpflanze verborgen war und Japanerinnen zeigte, die in einem Bach badeten.
»Erica! Ich hatte dir doch gesagt, du sollst dieses Ding wegschaffen!«
Blake war nicht gerade begeistert über den orientalischen Stil, den seine Frau für ihr Zuhause ausgewählt hatte. Er hatte einige wenige Geschäftsbeziehungen in den Fernen Osten und betrachtete dessen Bewohner als gottlose Geschöpfe, für deren Kultur er nur Verachtung übrig hatte. Die neueste Erwerbung seiner Frau hatte seine Geduld endgültig überstrapaziert. Eher wollte er verdammt sein, als seinen Gästen bei sich zu Hause als Erstes einen Haufen halb nackter, in Lack verewigter Heiden zu präsentieren.
Niemand antwortete, deshalb tappte Blake auf Socken durch das makellos elegante Haus und folgte den Klängen von Beethovens Neunter Sinfonie, die gewürzt mit dem Geruch von Knoblauch und Oregano aus der Küche kamen.
»Hattest du einen schönen Tag?«, fragte Erica Blake, während sie mit einem lächerlich langen Holzlöffel die Spaghetti umrührte.
»Warum steht dieser Wandschirm immer noch im Eingang?«
»Ich habe ein Bäumchen davor gestellt, Schatz. Ich dachte …«
Blake schnitt ihr das Wort ab. »Wenn ich morgen heimkomme, ist das Ding weg! Von mir aus kannst du dieses Zeug sammeln, aber ich will solche Obszönitäten nicht in meiner Halle sehen. Du kannst ihn in dein Schlafzimmer stellen, wenn du magst.«
Erica nickte und wandte sich wortlos wieder zu ihren Nudeln um.
Blake seufzte und ging in sein Schlafzimmer, um sich umzuziehen.
Erica war die perfekte Ehefrau gewesen, als er noch Prediger an seiner kleinen Kapelle im westlichen Maryland gewesen war – zurückhaltend, gottesfürchtig und eine hilfreiche Stütze. Je höher allerdings sein Stern gestiegen war, desto mehr hatte sie sich zurückgezogen und sich nur noch für Antiquitäten, Malerei und Kindererziehung interessiert. An sich war ihre introvertierte Art keine Behinderung für ihn, doch er hatte gehofft, sie würde sich zu einer echten Verbündeten entwickeln. Er sah sich zwar immer noch als Prediger, aber er brauchte eine Politikergattin.
Zehn Minuten später erschien Blake wieder in bequemen Khakihosen und einem Polohemd. Seine Kinder Joshua und Mary saßen bereits am Tisch, und Erica löffelte Soße auf ihre gewaltigen Nudelportionen.
»Hi, Daddy!« Mary winkte ihm fröhlich zu. Josh blieb ungewöhnlich still und wich dem Blick seines Vaters aus.
»Hallo, Prinzessin. Hast du heute einen lustigen Tag gehabt?« Sie nickte eifrig.
Blake wandte sich an seinen Sohn, der im letzten Monat mit der Junior-Highschool begonnen hatte. »Wie war es heute in der Sonntagsschule, mein Sohn?«
Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über Joshuas Gesicht, der jedoch gleich wieder verschwand. Angst?
»Gut, Dad.« Er betrachtete seinen Teller.
»Stimmt was nicht?«
»Nö.«
Schweigend beendeten sie ihre Mahlzeit. Blake widerstand dem Drang, sich eine zweite Portion zu gönnen. Seine Hosen wurden ihm allmählich ein bisschen zu eng.
»Bist du fertig, Schatz?«, fragte Erica ihre Tochter. Sie nickte strahlend.
»Dann wisch dir mal diese ganze Soße ab und geh ein bisschen fernsehen.«
»Darf ich?« Mary fuhr sich hastig mit einer Serviette über den Mund und rannte davon, ehe ihre Mutter ihre Meinung ändern konnte.
Blake war einigermaßen verwirrt. Statt der sonst so lebhaften Unterhaltung bei Tisch hatten diesmal nur die Gabeln auf dem Porzellan geklappert. Und nun ließ Erica die Kleine auch noch fernsehen. Dabei behauptete sie sonst gern und mit Nachdruck, das Fernsehen sei die Wurzel allen Übels – obwohl sie das nie in seiner Gegenwart wagen würde.
»Josh möchte mit dir über etwas reden«, sagte Erica, als die Schritte ihrer Tochter verhallten. Sie schaute zu Josh, der unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
»Josh?«, drängte sie.
»Es ist wegen Jimmy«, sagte er und wich seinem Blick aus.
James Miller war Joshs bester Freund. Sie hatten sich in der vierten Klasse kennen gelernt und waren seither praktisch unzertrennlich gewesen.
»Was ist mit Jimmy?«
Josh schaute flehentlich zu seiner Mutter, doch sie schwieg.
»Er … er … ist von der Schule verwiesen worden.«
Zuerst glaubte Blake, dass er nicht richtig verstanden hätte. »Rausgeschmissen?«
Josh nickte.
»Warum denn? Hat er betrogen?« Blake konnte sich nicht vorstellen, dass Jimmy irgendwas tun konnte, das einen Schulverweis rechtfertigte. Das musste ein Irrtum sein.
»N … nein.«
Josh schien nicht weiterreden zu können und starrte auf seinen Teller. Blake schaute zu seiner Frau. »Was ist los?«
Sie schwieg einen Moment, aber schließlich beschloss sie, ihrem Sohn zu helfen. »Man hat ein bisschen Marihuana in seinem Spind gefunden, Simon.«
Fassungslos starrte er seine Frau an und wandte sich langsam zu seinem Sohn um. »Hast du gewusst, dass Jimmy Drogen nimmt?«
»Nicht wirklich, ich …«
Blake schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten und Josh so weit wie möglich in seinem Stuhl zurückwich.
»Komm mir nicht mit diesem Blödsinn, klar! Entweder du hast es gewusst oder nicht!« Rings um den Kopf seines Sohnes loderten bereits beängstigend hell die Flammen der Hölle.
Tränen stiegen dem Jungen in die Augen. Er versuchte zu antworten, brachte aber zunächst keinen Laut heraus. »Er … hat es mir erst vor ein paar Tagen gesagt.«
»Blödsinn!«, schrie Blake und packte Joshs Arm. »Hast du Drogen genommen? Antworte mir! Hast du Drogen genommen?«
Josh schaute wieder zu seiner Mutter, und in diesem kurzen Moment sah Blake die Wahrheit in den Augen seines Sohnes. Er ließ ihn los und sank in seinen Stuhl zurück. Eine Welle der Übelkeit überkam ihn.
»Es war nichts, Dad. Ehrlich, ich …«
»Geh mir aus den Augen«, sagte Blake ruhig.
Josh verließ das Zimmer und wischte sich mit dem Hemdsärmel die Tränen vom Gesicht.
Erica griff über den Tisch nach der Hand ihres Mannes, aber Blake stand abrupt auf.
»Wir reden später darüber«, sagte er gereizt und stapfte davon.
In seinem Arbeitszimmer gab es keinen orientalischen Schnickschnack. Ein großer Schreibtisch in der Ecke beherrschte den überfüllten Raum; auf Regalen stapelten sich wirr durcheinander Bücher über verschiedene Aspekte des Christentums, doch im Moment interessierte ihn nur der bequeme Polstersessel am Kamin. Darin konnte er immer am besten nachdenken.
Blake nahm einige Holzscheite aus einem Bronzekorb und schichtete sie sorgsam im Kamin auf. Als das Feuer ordentlich brannte, setzte er sich und bereute – was bisher nur sehr selten vorgekommen war –, dass er keinen Alkohol trank.
Um sich abzulenken, griff er nach der Fernbedienung des Fernsehers, zappte flüchtig durch die Kanäle und entschied sich schließlich für einen lokalen Nachrichtensender. Er hörte kaum zu, was der Sprecher gerade sagte, aber das Hintergrundgeräusch war irgendwie beruhigend.
»… heute Abend die kleine Katerina Washington in ihrem Zuhause in Washington, D.C. tot aufgefunden.« Blake wandte seinen Blick von den tanzenden Flammen ab und schaute zum Bildschirm. Man hatte gerade in eine dunkle Straße Washingtons geschaltet. Vier Streifenwagen parkten vor einem grauen Haus, und ihr Blaulicht verlieh der ganzen Szene etwas Gespenstisches. Ein kleines Bündel unter einem weißen Laken wurde den Bürgersteig hinuntergerollt, vorbei an einer wachsenden Menschenmenge. Die Kameras schwenkten zu einer jungen Frau, die im Fond eines Streifenwagens saß. Das kräftige Licht spiegelte sich in der Scheibe, sodass man nur undeutlich ihr tränennasses Gesicht sehen konnte. Ein Reporter mit einem Mikrofon trat ins Bild und hielt einen Polizisten auf, der gerade ins Haus wollte.
»Lieutenant, können Sie uns sagen, was hier passiert ist?« Der Beamte schaute gelangweilt in die Kamera. »Das Mädchen wurde vor ungefähr einer Stunde von seiner Mutter tot aufgefunden. Es sieht so aus, als sei es von einer Kugel, die durch ein offenes Fenster gekommen ist, in den Kopf getroffen worden. Das Kind war sofort tot.«
»Haben Sie schon irgendwelche Verdächtige?« Der Polizist zuckte die Schultern. »Niemand scheint was gesehen zu haben. Es gibt eine Menge Drogenhandel in dieser Gegend. Höchstwahrscheinlich war es ein Querschläger von einer Schießerei, die hier stattgefunden hat.«
»Scheiße!«, brüllte Blake und schleuderte die Fernbedienung gegen den Bildschirm, wobei sich ein anderer Kanal einschaltete, auf dem eine alte Folge von »Vater ist der Beste« lief. Er schaute wieder ins Feuer, während im Fernsehen eine andere Zeit zum Leben erweckt wurde. Eine Zeit, als Amerika noch auf dem rechten Weg gewesen war; als es noch keine Drogen, keine Hippies und kein Vietnam gegeben hatte.
Nach ungefähr zehn Minuten stand er aus dem Sessel auf, schaltete den Apparat aus und ging zu seinem Schreibtisch. Er überzeugte sich mit einem Blick, dass die Tür geschlossen war, und griff nach dem Telefon. John Hobart saß in dem kleinen Büro, das er über seiner Garage eingerichtet hatte. Der Raum wurde nur vom Monitor seines Computers und einer kleinen Halogenlampe auf dem Schreibtisch erhellt. In den vergangenen zwei Stunden hatte er Blakes Offshore-Konten überprüft, was dank der technischen Fortschritte immer einfacher wurde. Und genau das beunruhigte ihn. Der Gedanke an einen übereifrigen Reporter, der mit Hilfe irgendeines ausgebufften Computerfreaks peinliche Informationen über die Kirche ausgrub, spukte ihm schon seit einer ganzen Weile im Kopf herum. Allerdings tat er, was nur möglich war, um zu verhindern, dass so etwas passierte, und es hatte keinen Zweck, sich Sorgen zu machen über Dinge, auf die er keinen Einfluss hatte.
Das Läuten des Telefons, das auf dem Bücherschränkchen hinter ihm stand, unterbrach seine Gedanken. Er hob beim ersten Klingeln ab. Es überraschte ihn nicht, dass es Blake war. Nur sehr wenige Leute kannten seine Privatnummer.
»Was kann ich für Sie tun, Reverend?«
»Erinnern Sie sich noch, worüber wir heute gesprochen haben? Ihre einfache Lösung für Amerikas Probleme?«
Blakes Stimme klang leise und so eindringlich, dass Hobart fast meinte, einen Anflug von Verzweiflung zu hören.
»Ja.« Er klemmte sich das Telefon zwischen Hals und Schulter und tippte weiter auf seiner Computertastatur.
»Sie haben gesagt, mit das Beste an dieser … Operation sei, dass zu ihrer Durchführung nicht viel Personal erforderlich sei.«
»Ob ich exakt diese Worte benutzt habe, weiß ich nicht mehr, aber worauf wollen Sie hinaus, Reverend?«
Für einen Moment herrschte Schweigen in der Leitung.
»Könnte eine kleine Organisation mit beträchtlichen finanziellen Mitteln so etwas ohne Beteiligung der Regierung durchführen?«
Hobart hörte auf zu tippen und konzentrierte sich zum ersten Mal ganz auf das Gespräch. »Eine interessante Frage, Reverend.« Er überlegte kurz. »Sicher, ich sehe keinen Grund, warum nicht.«
»Wären Sie daran interessiert, bei einer solchen Organisation dabei zu sein?«
Hobart konnte kaum seinen Ohren trauen, und einen Moment lang dachte er, er habe Blake missverstanden. Hastig ging er im Geist das bisherige Gespräch noch einmal durch und kam zu dem Schluss, dass er sich nicht geirrt hatte.
»Ich bin vermutlich der einzige Mann für diesen Job«, erwiderte Hobart überzeugt. Andere Männer würden zusammenbrechen angesichts der anfallenden Opfer, das wusste er, oder Fehler machen, die das FBI schnurstracks auf ihre Spur führen würde. Er dagegen kannte keine moralischen Skrupel und wusste zudem bestens über polizeiliche Ermittlungsmethoden Bescheid.
»Lassen Sie uns morgen darüber sprechen. Um elf.« Damit war das Gespräch beendet.
Ziemlich verblüfft saß Hobart in seinem dämmrigen Büro. Er hatte schon öfter erlebt, dass der Reverend voreilige Beschlüsse fasste, aber gewöhnlich kam er innerhalb weniger Tage wieder zur Besinnung. Vermutlich würde er dieses Gespräch am Morgen schon bereuen und bis elf Uhr ganz vergessen haben. Auch das hatte er schon erlebt.
Er schaltete den Computer und die Lampe aus und ließ seine Gedanken schweifen. Unzählige Szenarien für eine solche Operation gingen ihm durch den Sinn. Er würde bei seinem Treffen mit Blake die Opferzahlen und die Kosten herunterspielen, doch vor allem einen Plan entwickeln müssen, bei dem für Blake keinerlei persönliches Risiko bestand.
Hobart zog seine Knie an die Brust und stützte die Fersen auf die Kante des Stuhls. Erst jetzt wurde ihm klar, wie verbittert er immer noch war durch das, was er bei der DEA erlebt hatte. Jahrelang hatte er mit den üblichen gesetzlichen Mitteln versucht, gegen die weltweit operierenden Drogenkonzerne zu kämpfen und eine Niederlage nach der anderen erlitten. Dabei waren seine Gegner ihm vom Intellekt her weit unterlegen. Jetzt hatte er die Gelegenheit, ihnen alles heimzuzahlen und zwar mit Methoden, bei denen selbst die gnadenlosesten Killer der Drogenkartelle zurückzucken würden. Endlich eine Chance, diese Verbrecher mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.